Es folgt die Prozesserklärung von M., verlesen beim Prozessauftakt am 18. Mai. Der Prozess wird am 5. Juni um 9 Uhr fortgesetzt (Raum 142).
Die Zwischenüberschriften wurden zur besseren Leserlichkeit eingefügt.
Prozesserklärung
Heute kommt es zu dem juristischen Nachspiel einer Posse die im August letzten Jahres seinen Anfang fand. Interessanterweise geht es im heutigen Prozess um Widerstand gegen die Staatsgewalt. Anfänglich war der Hauptvorwurf noch das Abhalten einer unangemeldeten bzw. verbotenen Versammlung. Dieser Vorwurf scheint inzwischen wohl unhaltbar, und hätte die Aufmerksamkeit stark auf den Anlass des Polizeieinsatzes gelenkt. Das soll wohl verhindert werden. Doch ohne die Entstehungsgeschichte ist dieser Einsatz nicht zu betrachten, denn daraus wird die Unverhältnismässigkeit der Mittel augenscheinlich und die Überzogene Gewaltanwendung gegen eine grundgesetzlich garantierte Meinungsäußerung in Form einer interaktiven Kunstperformance überdeutlich.
Kriminalisierung von kritischer Öffentlichkeit
Wer St. Pauli kennt, der ist auch mit dem Bild von Stadtteilrundgängen vertraut. Täglich ziehen dutzende Gruppen durch St. Pauli, mal kleiner mal größer. Zum Teil mit Kostümierungen wie bei der Historischen Hurentour und meistens auch mit einer Verstärkeranlage um sich besser Gehör zu verschaffen. Stadtteilrundgänge erfreuen sich also scheinbar größer Beliebtheit. Ein besonderes Charakteristikum dieser Stadteilrundgängen ist das sie keiner Anmeldung bedürfen. Und so finden auch täglich etliche Stadtrundgänge ohne eine Anmeldung statt.
Rundgang
Am Mittwochnachmittag, dem 20.08.2008 lud das Netzwerk „Es regnet Kaviar“, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen und Initiativen gegen die Gentrifizierung St. Paulis, zum “Landgang durch die Sonderzone”, einem aktionistischen Stadtteilrundgang, durch St. Pauli. Über hundert Menschen machten sich am frühen Abend nach einem Sektempfang auf den Weg um die rapide Wandlung des Stadtteils jenseits der Glittermeile Reeperbahn mit künstlerischen Mitteln zu erkunden.
Die Vertreibung alt eingesessener MieterInnen durch explodierende Mieten, Polizeischikanen gegen Transexuelle, Videoüberwachung der Reeperbahn und angrenzender Straßen, Verdrängung der Clubkultur durch Eventgastronomie und rassistische Alltagspraxis von Polizei und VermieterInnen waren einige der Themen, über die das Netzwerk informierte. So gab es Beiträge zur Preisexplosion auf St. Pauli, die an Hand eines Sprints von den letzten Resten billigen Wohnraums, in Form von Substandardwohnungen in Hinterhöfen, hin zum Gebäude mit den teuersten Mieten St. Paulis, an der Ecke Antonistr./Bernhard-Nochtstr. nachvollzogen wurde. Die Kriminalsierung und Drangsalierung der oft illegalisierten SexarbeiterInnen aus der Talstraße wurde ebenso in Wortbeiträgen thematisiert wie der Versuch den Anteil der Anwohner mit ausländischen Namen in den Häusern des Hamburger Wohnungsunternehmens SAGA drastisch zu verringern. Die Gigantomanie der Neubauten und die Privatisierung öffentlichen Raums mit öffentlichen Geldern im neuen Brauereiquartier und auf dem Spielbudenplatz standen ebenso im Fokus wie die stetigen Bemühungen, St. Pauli mit neuen Kontrollvorschriften und gewaltsamer Vertreibung als Sonderrechtszone zu festigen. Aus gegebenem Anlass wies ein spontanes Buchstabenballett vor den Überwachungskameras des Spielbudenplatzes auf die verdummende Wirkung von Fernsehen hin. Am Gebrüder-Wolf-Platz wurde das antifaschistische Engagement der Namensgeber gewürdigt und in Anspielung an das bekannte Lied „An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband“ wurden Tüdelbänder verteilt, mit denen eifrig gespielt wurde. In den Zwischenpausen durch Musik unterhalten, zogen die Teilnehmenden friedlich und gut gelaunt von der Hafenstraße durch St. Pauli auf den Spielbudenplatz wo der Rundgang beendet wurde.
Bei diesem Stadtteilrundgang handelte es sich aber nicht etwa nur um eine gängige informative Führung sondern um eine konzeptionell durchdachte interaktive Performance. Um dies zu verdeutlichen werde ich kurz das dahinter stehende Konzept erläutern.
Künstlerische Bewertung
Führungen werden seit den späten Achtzigerjahren zunehmend zu einem künstlerischen Mittel – bahnbrechend etwa Andrea Frasers frühe Rundgänge durch New Yorker Museen. Fraser‘s Arbeit (Führungen, die etwa das Sicherheitssystem teurer Sammlungen in Augenschein nahmen und im Duktus kunsthistorischer Führungen interpretierten) ist für unseren Kontext auch deshalb besonders interessant, da diese Arbeit eine Rückkehr des Politischen in die Kunst seit den Neunzigerjahren markiert und ganz ähnlich gearbeitet hat wie der „Landgang durch die Sonderrechtszone“: Die Performance „A Gallery Talk“ (1989) besteht aus einer Museumsführung (…). Dabei findet eine Verschiebung gegenüber den üblichen Führungen statt. Zunehmend geht Fraser auf anscheinende Nebensächlichkeiten des Museums ein – die Garderobe, Toiletten, Museumsshop und ähnliches werden neben den eigentlichen Sammlungen gezeigt. Gleichzeitig verdeutlicht sie in ihrem Vortrag den Kontext, in den das Museum eingebettet ist – seine Entstehung, seine gesellschaftlichen Aufgaben. Sie enthüllt die nicht-sichtbaren Machtstrukturen und Definitionsmuster, die durch die Anordnung und Auswahl der präsentierten Kunstwerke, sowie durch die Architektur (…) Wirkungsmacht erhalten. Ein ganz direkter Vorläufer des „Landgangs durch die Sonderrechtszone“ sind auch die Ausstellungen und Führungen der US-Amerikanischen Künstlerin Martha Rosler: unter dem Titel „If You Lived Here…“ setzte sie sich 1989 in der Dia Art Foundation (New York) mit dem Thema Gentrifizierung, Aktivismus, Vertreibung, Urbaner Theorie von Peter Marcuse und Geschichte auseinander. Im Rahmen des Kunst im öffentlichen Raum Programms der Kulturbehörde Hamburg realisierte die mehrfache Documenta-Teilnehmerin unter dem Titel „Ein leeres Grundstück in Ottensen – verseucht mit Geschichte, Kapital und Asbest“ – eine Führung „zu historischen Stätten jüdischer Gemeinden und Friedhöfe in Hamburg. Dort lasen die Fahrgäste Texte zur Judenverfolgung und zum wenig sensiblen heutigen Umgang mit den Stätten jüdischer Kultur.“ (Zitate: Kulturbehörde Hamburg) Roslers Projekt war übrigens Teil einer ganzen Serie von Führungen, die unter dem Titel „Stadtfahrt“ von der Kulturbehörde beauftragt wurden (http://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/stadt.htm). Dort heißt es: „Ein wesentliches Charakteristikum des Hamburger Programms ist die Kontext- und Ortsbezogenheit der Projekte, die immer für eine spezifische, meist durch den Künstler selbstgewählte städtische Situation konzipiert und realisiert werden. Grundsätzlich werden keine Atelierarbeiten angekauft.“ Der „Landgang durch die Sonderrechtszone“ knüpft inhaltlich und formal an diese Tradition an und steht damit unter dem uneingeschränkten Schutz von Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Artikel 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Als avantgardistische Aktion geht der Rundgang jedoch darüber hinaus und wird durch den Einsatz innovativer künstlerischer Mittel geprägt, nämlich durch:
– performative Elemente (hier sei die Hüpfübung in Park Fiction am Anfang des Rundganges erwähnt)
– partizipatorische Elemente, die den Betrachter zu einem aktiven Teil der Performance werden lassen (wie das Spielen mit den Tüdelbändern am ebrüder-Wolf-Platz sowie die Schilderaktion)
– kontextspezifische Einspielung von Tönen und Musikzitaten die den gesamten Rundgang durchzogen
– Visuelle Installationen in Läden (z.B. Diainstallation in Harry‘s Hafenbazar)
– Interventionen in den öffentlichen Raum (Hundertmeterlauf vom billigsten zum teuersten Mietpreisquadratmeter der Stadt in der Bernhardt-Nocht-Str.)
– life eingesprochene Texte von kostümierten Performern und Performerinnen
– fahrbare Skulpturen (Buss-Bunny als Stimmverstärker oder die Bar Gomez die sich als fahrbahre Installation mit der Diskussion des Alkohlverbots auseinandersetzt und diese an die Orte des Geschens trägt)
– kreative Elemente, die die bedenklichen Entwicklungen auf St. Pauli kritisch hinterfragen und etwa die Überwachungsanlagen spielerisch umdeuten und umfunktionieren (hier sei wiederum auf die Performance „Fernsehen macht dumm“ vor den Überwachungskameras verwiesen)
– also nocheinmal die künstlerischen Elemente in der Aufzählung:: Malaktion, Performance, Partizipation, Musik, Skulptur, Kostüme, Texte, Führung, und zu guter letzt die Finissage am Spielbudenplatz.
Das Publikum wurde durch die verschiedenen partizipatorischen Elemente aus seiner passiven rolle herausgelöst und als aktive Co-produzenten in das Werk des Landgangs miteinbezogen. Der Laie, das lokale Wissen, verlässt den Zuschauerraum und betritt die Bühne, bekommt eine Stimme gegen die Kräfte, die die öffentlichen Räume tagtäglich beherrschen. Öffentliche und private Einrichtungen und Institutionen, Plätze, Geräte, Symbole, rechtliche Beschränkungen und sich im Raum manifestierende politische Ideologien werden im Laufe des Landgangs decodiert, kritisch beleuchtet oder spielerisch umdefiniert.
Der „Landgang durch die Sonderrechtszone“ ist eine, von einem Team aus Künstlern, Performern, Schriftstellern, Aktivisten, Profis und Amateuren kollektiv entwickelte und künstlerisch durchgearbeitete Aktion, die auf innovative und überraschende Weise in den öffentlichen Raum interveniert und dessen sichtbare und verborgenen Machtstrukturen, Dispositive und Ausschlußmechanismen mit künstlerischen Mitteln sichtbar macht. Der Rundgang fällt deshalb in den Schutzbereich der Kunstfreiheit, und ist damit gegen jedwede Einmischung öffentlicher Gewalt tabuisiert. Der brutale Polizeieinsatz war deshalb ungesetzlich, grundgesetzwidrig, und der Widerstand dagegen eine angemessene Reaktion.
Zum Polizeieinsatz
Die Polizei beobachtete das Treiben von Anfang an. Die Berichte der eingesetzten Beamten zeigen eindeutig das der Rundgang schon vor Beginn unter polizeilicher Beobachtung stand. Zwischenzeitlich waren bis zu 7, 8 Beamten anwesend, die freundlich lächelnd den Rundgang begleiteten, meist mit Abstand von einigen Metern. Dies kann jederzeit auf dem hier vorliegenden Videomaterial des Rundganges in Augenschein genommen werden. Zu keinem Zeitpunkt erfolgte eine Kontaktaufnahme der Polizei mit dem Rundgang. Die Beamten beobachteten, hörten interessiert zu und in der Talstr. verstellten die Streifenbeamten sogar selbstständig mit Peterwagen die Straße kurzzeitig, vermutlich um eine vermeintlich sichere Durchführung zu ermöglichen. Aus diesen Situationen ergab sich für die Teilnehmer_innen des Rundganges die Wahrnehmung das die Polizeibeamten zum Zwecke einer erleichterten Durchführung vor Ort seien. Offensichtlich sahen die Beamten zu keinem Zeitpunkt die Notwendigkeit in irgendeiner Form einzuschreiten oder in eine Diskussion zu treten. So konnte der Rundgang 3 Stunden lang durchgeführt werden und am Spielbudenplatz zu Ende gebracht werden. Nach den letzten Beiträgen gab es noch ein wenig Sekt und Musik und nach und nach verließen die meisten Teilnehmer-innen den Platz.
Zu diesem Zeitpunkt rückte plötzlich eine Hundertschaft der Polizei an, die sich sofort ausgerüstet zu den Teilnehmern des Rundgangs stellte. Einige TeilnehmerInnen des Rundgangs gingen auf die Polizei zu, um Ihnen mitzuteilen, dass der Rundgang beendet sei, man nun den Spielbudenplatz verlassen werde und es keinen Grund zur Eskalation gäbe. Die Polizei blieb gegenüber den Rundgängern wortlos, während sie untereinander bestimmte Personen – offensichtlich willkürlich – zu „Rädelsführern“ erklärten. Bevor jedoch eine Person auch nur angesprochen wurde oder irgendeine Art von Aufforderung oder Erklärung durch die Polizei erfolgte, stürmten die Beamten auf die Menge zu und begannen Leute zu Boden zu reißen und auf sie einzuschlagen. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt und einige festgenommen.
Auf die Bitte von Teilnehmer_innen der Performance mit dem Einsatzleiter zu sprechen gab der Zugführer die lapidare Antwort, „es gibt keinen“ oder „der ist nicht da“. Auch der inzwischen zur Hilfe gerufene Rechtsanwalt Manfred Getzmann bekam keine Auskunft und keinen Ansprechpartner.
Mehrere Teilnehmende des Rundgangs mussten sich nach dem Polizeieinsatz ärztlich behandeln lassen.
Mir selber wurde von den eingesetzten Beamten meine Brille vom Gesicht geschlagen bevor ich schmerzhaft in Hebelgriffe genommen wurde. Ich habe die Beamten wiederholt darauf hingewiesen das ich so nichts sehen kann und dem Einsatz nicht folgen kann. Die einzige Antwort waren Schläge und schmerzhafte Haltegriffe. Ich wies die Beamten weiterhin daraufhin das sie mich misshandeln. Mir wurde gesagt ich solle kooperieren. Was genau damit gemeint war war mir nicht ersichtlich, durch die Bearbeitung von mehreren Beamten war es mir unmöglich auf einzelne Handlungen einzugehen, zeitweise verdrehten mir mindestens drei Beamte meine Gliedmaßen. Ich wies die Beamten darauf hin das ich kooperiere wenn ich endlich meine Brille zurückerhalte um dem Einsatz zu folgen und sie mit ihrer schmerzhaften Misshandlung aufhören. Auch darauf gab es keine Reaktion. Auch meine Ersatzbrille die sich in einem Etui in meiner Innentasche befand durfte ich erst ca. eine Stunde später auf dem Revier aufsetzten. In der Zwischenzeit hatte ich alle beteiligten Beamten davon in Kenntnis gesetzt das ich den vorsätzlichen Entzug meiner Sehhilfe als gezielte Misshandlung erlebe, da es keinen vernünftigen Grund für diese stark einschränkende Maßnahme gab.
Da von den TeilnehmerInnen des Stadtteilrundgangs zu keinem Zeitpunkt Gefahr oder auch nur eine Provokation ausging, ist mir völlig unerklärlich, welches Ziel die Polizei mit ihrem brutalen und anscheinend undurchdachten Einsatz erzielen wollte. Auch den Betroffenen gegenüber gab die Polizei keine brauchbare Erklärung ab. Es bleibt der Eindruck, dass die sich auf die Sonderrechtszone St. Pauli beziehende Kritik am Sicherheitsstaat und den herrschenden Verhältnissen mundtot gemacht werden soll. Offensichtlich erträgt es die Polizei nicht, wenn Leute überraschende und ungewöhnliche künstlerische Wege finden, um auf die Umwandlungs- und Verdrängungsprozesse im Stadtteil aufmerksam zu machen. Und offensichtlich fehlte es der vermeintlich namenlosen Einsatzleitung in diesen Tagen an jeglichem Augenmaß in Bezug auf politischen Aktionismus, schwere Körperverletzungen waren nicht einmal einer Erklärung wert. Dazu passten auch die Versuche der Pressestelle der Polizei die Opfer der Polizeigewalt zu kriminalisieren. Dabei sei nur darauf verwiesen das die Polizeipressestelle die Interpretation des polizeilichen Einsatzes in den Tagen danach mehrfach umdeutete. So werden Fakten verdreht, um Verletze zu Straftätern zu erklären.
Zweiter Landgang
Das kritische Stadtrundgänge glücklicherweise nicht immer so enden müssen zeigt das Beispiel des Zweiten „Landgangs durch die Sonderrechtszone“ am 4. Oktober 2008. Wieder waren um die 100 Besucher anwesend, wieder war die Stimmung in der Stadt politisch aufgeladen. Anlässlich der zeitgleich in Hamburg abgehaltenen Einheitsfeierlichkeiten befasste sich der Landgang neben der Gentrifizierung auf St. Pauli zusätzlich mit dem Problem des Nationalismus. Die eingetroffene Polizei, federführend vertreten durch den damaligen Revierleiter der Davidswache, Wolfgang Weidemann, ließen sich kurz über den geplanten Ablauf in Kenntnis setzen und begleiteten dann zu zweit den Rundgang. Wegen den Einheitsfeierlichkeiten anwesende Bereitschaftspolizei erschien zwar kurz auf der Bildfläche, wurde aber wieder zurückgerufen und so konnte der Spaziergang friedlich und ohne Komplikationen durchgeführt werden. Wie auch bei dem vorherigen Rundgang war das Interesse der Passanten und Anwohner_innen groß und es kam immer wieder zu Diskussionen und auch Beifallsbekundungen. Genauso wie bei dem ersten Stadtteilspaziergang gab es zu keinem Zeitpunkt bedrohliche oder Gefährliche Situationen.
Ich stehe heute hier um meinem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Freiheit der Kunst Ausdruck zu verleihen. Ich bin nicht gewillt mich durch brachiale Gewalt daran hindern zu lassen mich an der künstlerischen aber auch politischen Auseinandersetzung um die Entwicklungen in dieser Stadt zu beteiligen. Die Tatsache das ich politische Analysen mit künstlerischen Mitteln verbunden habe rechtfertigt nun wirklich in keiner Weise die Nackte Gewalt die der Performance entgegen schlug. Das ich als Opfer einer völlig überzogenen Polizeimaßnahme auch noch als Schuldiger abgeurteilt werden soll kann ich nur als Drohversuch gegen allen Künstler_innen betrachten die sich nicht scheuen in ihrem Schaffen staatliches handeln kritisch zu beobachten und dies auch öffentlich thematisieren..
Auch in Zukunft werden häufiger kritische Stadtteilrundgänge durchgeführt werden! Deswegen ist es wichtig das die Rahmenbedingungen dafür nicht zerstört werden. Wenn Kritiker von überzogenen Polizeimaßnahmen von genau den Adressaten dieser Kritik in der Öffentlichkeit brutal zusammengeschlagen werden können und dafür dann auch noch vor Gericht zitiert werden ist eine kritische Meinungsbildung und Äusserung nicht mehr möglich.
Die Einrichtung von vermeintlichen Gefahrenzonen verschärft die Situation. Medial werden Orte gefährlich geredet um sie dann in rechtliche Sonderzone zu verwandeln in denen bürgerliche Grundrechte ausgehebelt sind. Und wie unser Beispiel zeigt soll sich noch nicht mal mehr die Kunst damit auseinander setzten dürfen, zu mindestens nicht wenn sie dabei von der Öffentlichkeit gesehen werden könnte.
Kennzeichnungspflicht
Polizeimaßnahmen werden so unabhängig von der wirklichen Relevanz forciert. Die Maßnahmen werden in der Statistik dann zur Begründung der eigentlichen Maßnahmen herangezogen. Wo so viel Polizei eingesetzt wird, muss es wohl gefährlich sein. Die Verhältnismäßigkeit und der gesunde Menschenverstand, der einem hilft eine Situation nicht immer eskalieren zu lassen, werden zu Gunsten von umfassenden Kontrollfantasien in den Hintergrund gedrängt. Das diese Kontrollen selektiv erfolgen ist offenkundig.
Um Übergriffe durch Polizeieinheiten zumindestens besser ahnden zu können ist es unabdingbar für eine klare Kennzeichnung der Beamten einzutreten. Wer weiß das er für sein Verhalten sowieso nicht belangt werden kann, der braucht sich über die Verhältnismäßigkeit seines Handelns keine Gedanken zu machen.
Auch dieser Vorfall des Übergriffes auf eine partizipatorische künstlerische Performance zeigt leider wieder deutlich das nicht alle Beamten mit der nötigen Verantwortung ihres Amtes walten können. Immer wieder kommt es zu Gewaltexzessen, die im Falle von Bereitschaftspolizisten auch sehr schwer zu ahnden sind da sich die Täter in der Anonymität verstecken können. Die Beamten agieren in größeren Einheiten in einheitlicher Kampfmontur, zum Teil vermummt was eine personelle Zuordnung sehr schwer macht. Der Chorpsgeist innerthalb dieser Einheiten macht es kritischen Beamten zusätzlich schwer sich von Gewalttätern zu distanzieren. Deswegen ist es auch absolut von Nöten eine Kennzeichnungspflicht für die Beamten einzuführen.
Polizeigewalt
Die Wellen die die polizeilichen Einsätze während des Antira-Klima-Camps hervorgerufen haben waren groß. Nicht nur in den Medien, auch in der Bürgerschaft wurden die brutalen Polizeieinsätze diskutiert.
So äußerte sich auch Amnesty International am 15. September 2008 zu dem Polizeieinsatz: „Die Einsätze der Hamburger Polizei während verschiedener Demonstrationen im August 2008 belegen erneut, dass in Deutschland dringend polizeiunabhängige Beschwerde- und Untersuchungsmechanismen eingerichtet werden müssen. Videomaterial zu diesen Einsätzen lässt den Verdacht zu, dass die Polizei nicht rechtmäßig gehandelt hat.“
Die juristische Aufarbeitung ist für Betroffene von Polizeigewalt alles andere als einfach. Anstatt das die Polizei eigenständig gegen Straftäter in den eigenen Reihen vorgeht werden Opfer von brutalen Einsätzen systematisch mit Anzeigen wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ angegangen. Was aus Anzeigen gegen mutmaßliche Schläger in Uniform wird zeigt die Statistik über Strafverfahren gegen Hamburger Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt. So berichtet die tageszeitung in ihrer online-Ausgabe vom 18.09.2008 aus dieser offiziellen Statistik das seit dem Beginn des Jahres 2006 bis zum Erscheinen des Artikel von fast 1000 Anzeigen gegen Polizeibeamte keine einzige zu einer Anklage führte
In der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, zur Anzahl der Verfahren gegen Polizistinnen und Polizisten wegen Körperverletzung im Amt, hat der schwarz-grüne Senat folgendes offenbart:
1.Von 1999 bis 2004 sind nur 18 Disziplinarverfahren gegen PolizistInnen wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet worden. Seit 2004 werden die Daten über solche Disziplinarverfahren nicht mehr erfasst.
2.Die Anzahl der Ermittlungsverfahren, die vom Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) gegen Polizeibedienstete wegen Körperverletzung im Amt bearbeitet wurden, liegt seit 1999 bis heute zwischen 204 und 325 Verfahren pro Jahr. Insgesamt wurden 2.440 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt vom DIE im Zeitraum von 1999 bis Juli 2008 geführt.
3.Die Staatsanwaltschaft hat seit 2003 zwischen 543 und 366 Ermittlungsverfahren gegen PolizistInnen wegen Körperverletzung im Amt pro Jahr geführt. Insgesamt wurden seit 2003 bis Juli 2008 gegen 2.461 Beschuldigte PolizistInnen ermittelt. Von diesen 2.461 Beschuldigten wurde im Zeitraum von 2003 bis 2005 nur gegen 17 PolizistInnen Anklage erhoben. Seit 2006 bis Juli 2008 wurde keine einzige Anklage erhoben. Hingegen wurden von der Staatsanwaltschaft seit 2003 2.278 Verfahren nach § 170 II StPO mit der Begründung „kein hinreichender Tatverdacht“ eingestellt. Sechs weitere Verfahren wurden nach § 153 StPO eingestellt. Der Rest wird in der Statistik als sonstige Erledigung geführt.
4.Von den Gerichten wurden im Jahr 2003 und 2004 jeweils 3 Freiheitsstrafen mit Bewährung sowie eine Geldstrafe in 2005 ausgesprochen; in den Jahren 2005 bis 2008 gab es weder gerichtliche Verurteilungen noch Freisprüche.
Quelle: http://www.die-linke-hh.de/presse/detail/artikel/presse/gewalttaetige-polizeiuebergriffe-bleiben-straffrei.html (zur Anfrage der Bürgerschaftsfraktion)
Ich denke das ich an dieser Stelle genug zur verhandelten Sache geäußert habe. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist hier völlig außer Acht gelassen worden und ein eskalierter Polizeieinsatz soll hier seine Absolution erhalten. Die Freiheit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung sollen nun nicht mal mehr eine Intervention in die stadtpolitische Entwicklung gestatten. Dieser Logik kann und will ich nicht folgen, weswegen ich nur darauf beharren kann das in diesem Verfahren hier Opfer zu Tätern gemacht werden sollen.
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